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Mister Jimson Weed
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Autor: Jens Mayer Eingestellt am: 01.12.2003
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VERDAMMT MÜDE WAR ICH, ALS JIMSON WEED KAM. MATT UND SCHLÄFRIG, WAS MIR JEDER KNOCHEN UNMISSVERSTÄNDLICH MITTEILTE. ES WAR MIR NICHT NACH BESUCH. WOLLTE DEM WUNSCH NACH SCHLAF NACHGEBEN. WAR EIGENTLICH SCHON IN MEINER KOJE, DOCH DANN SIEGTE DIE LUST, MR. JIMSON WEED EINZULADEN UND EINEN AUF NETTEN ABEND MACHEN. EIN GERN GESEHENER GAST. EINER, DER NIE UNANGENEHM WIRD. ER DRÄNGT SICH NICHT AUF, ÜBERLÄSST DIR DAS KOMMANDO. NENN IHN SCHWIEGERMUTTERS LIEBLING. ICH MAG IHN. ÖFFNETE DESHALB DIE TÜR.
Da stand er, lächelte in zurückhaltender Weise und wartete, bis ich ihn bat, einzutreten.
Es ist allein schon die Gegenwart bestimmter Menschen, die einem die mieseste Stimmung heben kann. Als ob von ihnen eine besondere Art von Energie ausströmt. Du verlierst deine Müdigkeit, deine Schritte werden leichter. Durch dein Hirn sausen unzählige Gedanken. Du bekommst Lust darauf, diese auszuplaudern. Mann, weißt du schon ... hab ich dir schon gesagt ... Mister, darf es was zu trinken sein, nimm Platz, mach´s dir gemütlich, fühl dich wie zu Hause.
Begegnet dir ein solcher Mensch, dann ist es, als würdest du durch eine Pforte eine andere Welt betreten. Das ist future-world. Beam me up, Scotty. Dein Körper zerfällt in seine kleinsten Teile, eine Menge Quark. Und aus der ganzen Pampe heraus formiert sich ein neues Wesen, ganz anders, nichts mehr gemeinsam mit dem alten. Aus dem smarten Boy von nebenan wird Capitain America. Clark Gable wird Supergirl. Ich für meinen Teil war nicht mehr der übermüdete Schlaffi, den ich noch vor wenigen Augenblicken in mir erkannte. Nun war ich der Mann, den Mister Jimson Weed besuchte! Dieser Mann, der lässig auf dem Sofa gegenüber saß, dieser Mann wurde nun zu meiner Pforte. Zugang zu heiliger Stätte, meiner Kirche, welche sich durch ihn öffnete.
Ich weiß nicht, ob sich Mister Weed seiner Bedeutung bewusst war. Wenn ja, dann ließ er es sich nicht anmerken.
Sicherlich wurde ich als Kind von dieser merkwürdigen Stimmung gefesselt, die sich in der Kirche während der Messe aufbaute. Ähnlich einer Hypnose, zieht einen der Sprechgesang des Gebets in eine tiefere Bewusstseinsebene. Den Banknachbarn, mit dem du eben noch leise geflüstert hast, vergisst du. Der röchelnde Atem deines Hintermannes. Das Schnäuzen und Räuspern überall im Raum. Eine grelle Jacke am Rande deines Blickfeldes, all das entzieht sich deiner Wahrnehmung. Wie die neuste Überblendtechnik einer Dia-Show entwirft es neue Bilder. Gerade die Monotonie des Gebets entfaltet deren Schärfe. Mit der Fortdauer des Gebets erforschst du dieses Bild, das sich an der Innenseite deines Gehirns abzeichnet. Du suchst darin Wege, Zeichen.
Immer deutlicher werden die Konturen und an deren zeitlichem Ende entdeckst du Neues. Meist dauert dieser Zustand unwesentlich länger, als das Gebet andauert. Dann sehe ich wieder die Jacke. Unzählige, Geräusche überall, finde erneut Lust, meinen Nachbarn zu bequatschen.
Was ich damit sagen will ist, dass der Mister eine ähnliche Stimmung zaubern kann.
Nach der üblichen Flut von Höflichkeitsfloskeln, -fragen und Aufmerksamkeiten, deutete er mir zu schweigen an. Nicht mehr als ein ruhiger Blick, vielleicht ein Nicken, unmerklich sein Lächeln. Mir war es ein deutliches Zeichen.
Ich stellte die Ohren, tatsächlich, in der Hoffnung, so die kleinste Schwingung, jedes noch so knappe Tönchen zu erhaschen. Mein Blick klammerte sich an seinen Mund. Beobachtete seine Lippen, deren Auf- und Niedertanzen, das Dehnen und Pressen jeder Furche darauf. Sah in die Nacht, dazwischen die im Speichel glänzende Zunge. Ich horchte wieder dem Gebet, wie ich als Kind horchte. Alles andere ausschließend, wandernd auf sich mir öffnenden Wegen.
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(15.10.2024)
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"Ich entschloß mich von dem Standpunkt meiner eigenen
Erfahrungen zu schreiben, von dem was ich wusste und was ich
fühlte. Und das war meine Rettung...
... Was ist Original? Alles was wir tun, alles was wir
Denken existiert bereits und wir sind nur Vermittler. Das ist
alles. Wir machen von dem Gebrauch was bereits in der Luft ist."
Henry Miller, aus einem Interview in den 60-iger Jahren
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