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Der Tod riecht angenehm
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Autor: Lothar Riemer Eingestellt am: 22.01.2007
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Im Wohnzimmer scheint sich die Luft noch mehr verdickt zu haben. Sechs
Familienangehörige qualmen um die Wette. Sie glauben wohl, dass sich durch
Dauerqualmen die Trauer über den Tod der Angehörigen in Rauch aufzulösen würde.
Irgendjemand stößt mir einen Stacheldraht in den Hals, so denke ich, und gebe Anja
zu verstehen, dass sie die Vernehmung der Angehörigen machen soll. Ich selber ziehe
mich ins Schlafzimmer zurück.
Welch eine Wohltat, als mich die Kühle des Raumes umfängt. Ungestört öffne ich ein
Fenster, um noch mehr frische, kalte Luft einzulassen. Ziehe diese erleichtert durch
meine Lunge und packe fast genüsslich eine Lutschpastille aus.
Hier sitze ich nun, neben einer "meiner" Toten. Sie sieht friedlich aus. Ein Bild
von Breslau hängt an der Wand. Ich erkenne es genau, da der schöne Rathausplatz mit
Gebäude abgebildet ist. Plötzlich beginne ich mit der Frau, oder ist sie nur noch
eine Tote, in Gedanken ein Zwiegespräch zu führen:
"Frau M. ich leiste ihnen ein wenig Gesellschaft. Die Luft im Wohnzimmer ist
unerträglich und sie sind so alleine hier, da setzte ich mich einfach zu ihnen.
Natürlich nur, wenn sie nichts dagegen haben. Hatten sie ein erfülltes Leben oder
überwog das Leid? Sie sind noch die Flüchtlingsgeneration, die nicht nur um ihre
Heimat, sondern vor allem auch um ihre Jugend betrogen wurde. Ihr Mann scheint
schon vor ihnen hinübergegangen zu sein, in diese andere Welt. Sind das ihre Kinder
da draußen im Wohnzimmer? Vermissen sie auch den Schlesischen Wind, der über die
Felder heult?"
Ich erzähle ihr von meiner Familie, die auch in der Nähe von Breslau lebte, alles
Hab und Gut durch den Fluch des Krieges verloren. Im Rheinland und Bayern sind sie
ansässig geworden, haben sich ein Leben neu aufgebaut und konnten doch keine Wurzeln
schlagen. Nicht in der Heimaterde begraben werden.
So tauchen wir beide, die Tote und ich, immer tiefer in ein Gespräch ein und es
erscheint mir selbstverständlich. Die Kälte der Nacht dringt durchs offene Fenster
ins Zimmer und bringt erfrischende Luft mit sich. Im Nebenzimmer höre ich meine
Kollegin und bin dankbar, dass sie den Papierkram erledigt, während ich hier
eine Unterhaltung mit einer Leiche führe.
Einige Zeit später erledigt der Leichenschauer seine Arbeit und wir können mit ihm
die Wohnung verlassen. Ich verabschiede mich noch im Stillen von "meiner" Toten und
wünsche ihr eine gute letzte Reise.
Im Streifenwagen fragt mich meine Kollegin, was ich denn die ganze Zeit im
Schlafzimmer gemacht hätte. "Mit der Dame ein angeregtes Gespräch geführt", antworte
ich. "Ach ja, und übrigens, dieser Tod roch angenehm!"
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"Ich entschloß mich von dem Standpunkt meiner eigenen
Erfahrungen zu schreiben, von dem was ich wusste und was ich
fühlte. Und das war meine Rettung...
... Was ist Original? Alles was wir tun, alles was wir
Denken existiert bereits und wir sind nur Vermittler. Das ist
alles. Wir machen von dem Gebrauch was bereits in der Luft ist."
Henry Miller, aus einem Interview in den 60-iger Jahren
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