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Stern über den Karpaten
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Autorin: Simone Meinhardis Eingestellt am: 11.09.2005
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Seite 3 von 3 Jaroslawna, seinem Eheweib, gerade in Borodins Oper klagte, ließ er die Musik über sich fließen wie warmen Regen.
Hingebungsvoll schloss er die Augen; seine Finger drückten sich aneinander. Einmal so singen können wie jener Bariton! Nun setzten Streicher ein. Konnte es etwas Schöneres geben? Bis eben hatte Joel keine Vorstellung gehabt, dass dergleichen existierte. Als er die Augen öffnete, glänzten sie wie Juwelen.
"Ich werde Musiker!" Kein anderer Gedanke schien mehr Raum zu haben als dieser.
"Ich möchte so singen können wie er dort oben!"
"Oh, gebt mir meine Freiheit wieder!" sang der Bariton soeben. Sanft schloss Joel wieder die Augen, als eine Hand ihn plötzlich hart am Arm packte.
"Hier steckst du! Was fällt dir ein, fortzulaufen?" Erschrocken sah Joel in die wütende Miene seines Vaters. Doch dann hielt dieser inne. Es war, als berühre ihn der entrückte Ausdruck im Gesicht seines Sohnes so, dass es die ausgestandene Sorge wegwischte.
"Sag, ist die Musik nicht wundervoll?" fragte Joel. Milan Antonescu lächelte.
"Ja, wundervoll. Aber nun komm. Bis heim ist es weit."
Gehorsam trippelte der Kleine neben ihm her. Einmal letztes Mal nur drehte er sich noch zu dem Mann auf der schlichten Bühne um. Wie ein Stern über den Bergen funkelte, so schien ihm auf einmal sein Ziel zu leuchten. Doch es war ein Stern, den nur er sehen konnte. Niemand außer ihm wusste, auf welchen Weg er sich in diesem Moment gemacht hatte.

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* Aktuelles *
(09.06.2023)
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"Ich entschloß mich von dem Standpunkt meiner eigenen
Erfahrungen zu schreiben, von dem was ich wusste und was ich
fühlte. Und das war meine Rettung...
... Was ist Original? Alles was wir tun, alles was wir
Denken existiert bereits und wir sind nur Vermittler. Das ist
alles. Wir machen von dem Gebrauch was bereits in der Luft ist."
Henry Miller, aus einem Interview in den 60-iger Jahren
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