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Mister Jimson Weed
Autor: Jens Mayer
Eingestellt am: 01.12.2003
Seite 3 von 4

Die uns beherrschende Wohlstandsgesellschaft ist völlig ohne Ekstase und über alle Maßen von ihr selbst konstruiert. Sie wird jede Wahrnehmung, die nicht an ihrem Reißbrett entworfen wurde, als Wahn darstellen. Den, der diese freie Wahrnehmung empfängt, als Gefahr verschreien und letztlich verfolgen. Du kennst die Bilder aus der Geschichte: Theorien und Meinungen werden zu Gesetzen und ohne Schwierigkeiten finden sich solche, die diese Gesetze mit allen Mitteln und Möglichkeiten durchzusetzen versuchen. Das Schöne, das uns bleibt ist, dass unsere Gedanken frei sind. Die kann uns keiner nehmen. Vorausgesetzt, wir behalten sie für uns oder eben in unseren Kreisen. Du und ich, wir können uns austauschen, wir sind Verwandte im Geist. Das ist wichtig und auch gut so. Das Denken ist heute nur noch rationeller Art, das Handeln bis ins Detail durchkalkuliert. Das nennt man Zivilisation. Davor müssen wir uns schützen. Erteilt uns die Gesellschaft in ihrer Gnädigkeit Emotionen oder Phantasien, so sind diese sehr bewusst gewählt und, das ist das Schlimme, absolut überdosiert. Das ist die Taktik: die Konsumenten, die ahnungslosen, erfahren die Überdosierung als etwas Negatives und werden früher oder später gänzlich das Interesse an anderen Formen der Wahrnehmung verlieren. Das, was ihnen die Gesellschaft gibt, das lernen sie als kostbar zu schätzen. Das andere als schädlich.
So sind die Regeln und wir, die wir eigene befolgen, die Schädlinge. Die versuchen sie dann zu zertreten.
Der Mister trat wild um sich, seine Augen verbrannten Motten, Mücken und andere Mitbewohner meiner bescheidenen Behausung. Ich flüchtete hastig in der schützenden Grotte hinter seinen Augen, deren Wärme mich sofort gefangen nahm. So wild er auch tobte und raste, ich lag geborgen in dem Versteck. Gedämpft und verlangsamt, als verschmelze Ton mit Ton, nahm ich die Geräusche um uns wahr. Die Worte schwebten umher und schlossen sich zusammen, wie es sich gerade ergab. Eine Diffusion des Wohlklanges.
Mit welcher Geschmeidigkeit sich die Klänge bewegten, sich die Hand reichten, das anzusehen war ein Genuss. Ohne Wertigkeit des anderen verbanden sie sich, tanzten umher, um sich daraufhin erneut zu trennen. Das wiederholte sich in einem bunten Wechsel. Die Tränen, die dieser Anblick in mir auslöste, vervielfachten das Bild, erhöhten die Zahl der Farben ins Unermessliche. Ich griff nach einer Farbe, irgendwo zwischen Rot und Grün und drückte sie an mein Herz. Hand in Hand sprangen sie davon. Eine Arie des Seins. Dem war noch so, als Mister Jimson Weed längst schon fort war, die Tür hinter sich geschlossen. Alles tanzte, tanzte noch eine Weile um mich herum.

Doch es hielt nicht ewig: Bald kehrte ich zurück, alleine mit meiner Müdigkeit und meinen Gedanken, die sich zäh durch die Gänge quälten - in meiner Bude mit den Wasserflecken an der Decke, der Ungezieferfalle direkt neben dem Sofa. Schwere überfiel mich und ich legte mich hin. Auf den Schlaf wartend geschah es dann, dass ich wohl zu spät reagierte. Wenige Zentimeter vom Staub bedeckten Radiowecker, dessen Austaste die Abdrücke meiner Finger tragen. Unterhalb der Lampe, die eher von Spinnweben als vom Kabel gehalten wird.
Ich reagierte zu spät, da es über die Lehne ankam, im toten Winkel, auf die Schulter, der Halsschlagader folgend zur Nase schlich und gleich, als wäre es Absicht, Absicht eines Insekts, in meiner Nase zu verschwinden.
Das tat das Insekt. Mir blieb nicht die Zeit zu reagieren. Ich schreckte auf, als ich das Unangenehme des Fremden spürte. Doch, das Ausstoßen meines Atems durch das entsprechende Nasenloch blieb ohne Erfolg. ES war eingedrungen.
Schütteln und Pusten waren erfolglos. Also hielt ich als nächstes den Atem an und regte mich nicht. Vielleicht würde es von alleine den Weg wieder heraus nehmen. So angenehm konnte es in meiner stets verrotzen Nase ja nicht sein. Ich stoppte den Atem und versuchte, alles zu erspüren, was sich da in meinem Innern tat. Aber die Zeit lief gegen mich, Panik gegen Panik marschierte auf: Zu Atmen wäre die Niederlage gegen das Ungeheuer, nicht zu Atmen wäre andererseits auch nicht von Vorteil. Ich rang mit mir, wenige Augenblicke, dann pumpte ich schnell und kräftig Luft in mich. Der Trieb, Leben zu Atmen. Momente des Wohlgefühls, dann erneut Panik. Wo war es, wie konnte ich es nur vergessen. Ich horchte in mich, fühlte in mich. Nun wusste ich, dass es ein gezielter Anschlag war, da das Insekt ruhig verharrte, meine Aktionen verfolgte und nur agierte, wenn ich ruhig blieb. Raffiniert, aber dass diese Wesen hoch intelligent sind, das sagen die Wissenschaftler ja schon seit langem. Vielleicht war es eines dieser gezüchteten Insekten, nur ihren Auftrag im Sinn, eiskalt, da ohne menschliche Empfindungen. In meiner Rübe herrschte Hochbetrieb. Signale sausten mit Nachrichten im Gepäck umher. Zellen knüpften Kontakte, Abwägungen wurden getroffen. Mein Kopf glühte, ein deutliches Zeichen für diese Notsituation.


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