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Polizei
Der Tod riecht angenehm
Autor: Lothar Riemer
Eingestellt am: 22.01.2007
Es hat mich also doch erwischt. In der Frühschicht hoffte ich noch, die Grippe würde vorüberziehen, tat sie aber nicht. So liege ich nun im Bett, der Wecker springt auf 17:00 Uhr und die Versuchung liegen zu bleiben ist groß. Doch das bedeutet, dass ein anderer kurzfristig einspringen muss, da wir sonst unterbesetzt sind und nicht genug Polizisten für die Nachtschicht haben. Wir arbeiten sowieso schon wieder auf personellem Mindestmaß. Zu viele Überstunden, Resturlauber und Kranke lassen eine Dienststelle schnell schrumpfen.
Also aus dem Bett gequält, einen Cocktail aus Aspirin, Halsschmerztabletten und Nasenspray zusammengestellt und das Abendessen mit der Familie hinuntergewürgt. Anschließend fahre ich zur Nachtschicht. Es ist kalt und nass, mich friert und meine Gedanken müssen sich durch einen Wattebausch im Gehirn durcharbeiten. Aber wer kennt das nicht und mein Selbstmitleid nimmt mit jedem gefahrenen Kilometer Richtung Polizeiinspektion ab.
Unser väterlicher Dienstgruppenleiter sieht mich mitleidsvoll an, ist aber doch froh, nicht noch einen Mitarbeiter für heute verloren zu haben. Als meine Streifenpartnerin Anja und ich unsere Einsatzkoffer packen und uns abmelden, mault sie noch, mit so einem Bazillenhaufen im Auto zu sitzen, und schon geht es hinaus, den ersten Einsätzen entgegen.
Die Nacht scheint heute langsamer zu vergehen. Mittlerweile werfe ich die fünfte Halsschmerztablette und die zweite Aspirin ein, als uns die Einsatzzentrale zu einem Todesfall schickt. So steuert Anja den Wagen durch die Nacht, und jeder hängt mal wieder seinen Gedanken nach. Was erwartet uns? Es tauchen Bilder aus der Vergangenheit auf und jede "meiner" Leichen hat sich irgendwo in meinem tiefsten Innern eine Nische gesucht, um bei Bedarf mal wieder vor meinem geistigen Auge vorbei zu schauen.
Vor dem betreffenden Haus hält meine Partnerin an, schnappt sich einen Aktenordner und geht zielstrebig der Eingangstür entgegen. Ich schmeiße noch schnell eine Lutschtablette ein und trotte hinterher, dankbar dass Anja heute Nacht die Führung übernimmt und mich meinem Selbstmitleid überlässt. Da wir informiert wurden, dass die Angehörigen der Toten in der Wohnung sind, klingeln wir und werden durch den Sohn der Verstorbenen hereingebeten. Es ist eine kleine Sozialwohnung und in dem beengten Wohnzimmer sitzt die komplette nähere Verwandtschaft. Als ich eintrete verschlägt es mir den Atem. Ich meine, gegen eine Wand zu laufen, so ist der Raum verraucht und in Gedanken ziehe ich mein Taschenmesser, um die Luft zu schneiden. Doch es hilft nichts, ich muss da durch, um ins Schlafzimmer der Toten zu kommen. Dort liegt sie friedlich im Bett und scheint eines natürlichen Todes gestorben zu sein. Der Leichenschauer wurde zwar verständigt, braucht aber noch über eine Stunde, da er schon anderweitig unterwegs ist.
Wir verschaffen uns einen Überblick im Schlafzimmer, suchen nach eventuellen Spuren und besehen uns die Tote. Solange der Leichenschauer noch nicht da war, steht auch nicht einwandfrei fest, ob die Dame eines natürlichen Todes gestorben oder das Ableben beschleunigt wurde. Könnte ja auch sein, dass man die alte missliebe Mutter etwas schneller ins Jenseits befördert hat. Aber es sieht nicht danach aus.

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