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Eine halbe Stunde
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Autor: Helmut Wetzel Eingestellt am: 21.11.2005
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Wie in jedem Jahr haben die Menschen gehofft, gewartet, die Wettervorhersagen verfolgt und waren doch – zumindest nach außen - ohne Hoffnung.
"Meistens ist ja doch Schmuddelwetter!"
"Erst im Januar wird’s richtig kalt!"
"Weiße Festtage hatten wir doch schon ewig nicht!"
So oder ähnlich klangen die Sätze, wie man sie immer um diese Zeit hörte.
Und dann dies: verschneite Wälder auf den Hügeln um die Stadt, die Dächer wie gepudert, zugefrorene Seen, klirrende Kälte. Kondenswolken vor dem Gesicht, Handschuhe, Mantel, dicke Socken. Der Winter ist auch fühlbar da – kurz vor dem Fest der Feste.
Eigentlich wollte ich die Stadt meiden – die Hektik, das Gedränge, die vielen Menschen. Schreiende Reklameschilder, stockender Verkehr, klingelnde Kassen. Jetzt bin ich doch hier – und finde es schön. Den Stress der anderen beobachten, danebenstehen, sich treiben lassen. Die schönen Momente entdecken und genießen. Hier glänzende Kinderaugen vor dem riesigen, kitschig - bunt blinkenden Baum im Einkaufszentrum, dort ein zärtliches Pärchen am Glühweinstand. Ein netter Verkäufer, der in all der Hektik ein Lächeln und ein freundliches Wort für die Kunden hat.
So lasse ich mich mitziehen. Schlendere, verweile, schaue, rieche, höre und freue mich auf die nächsten Minuten, Stunden, Tage.
"Können sie mir bitte sagen, wann der 52er fährt?"
Erst fühle ich mich gar nicht angesprochen, bin noch ganz Teil des Fließens, das sich durch die Schluchten der Stadt ergießt, anonym und gleichmäßig. Doch ich bleibe stehen, unsicher, woher die Stimme kam.
"Der 52er! Wann kommt der?"
Jetzt erst bemerke ich das mir zugewandte Gesicht, den auf mich gerichteten Blick. Ein offenes junges Frauengesicht mit seltsam unbeweglichen Augen, die es starr machen, maskenhaft.
"Was für ein 52er ?"
Ich muss Zeit gewinnen, zu mir kommen. Wer ist das? Ich betrachte sie genauer: kurze, dunkle Haare über einem schmalen Gesicht, langer Mantel, etwas klobige Stiefel.
"Der Bus zur Klinik."
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* Aktuelles *
(25.02.2021)
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"Ich entschloß mich von dem Standpunkt meiner eigenen
Erfahrungen zu schreiben, von dem was ich wusste und was ich
fühlte. Und das war meine Rettung...
... Was ist Original? Alles was wir tun, alles was wir
Denken existiert bereits und wir sind nur Vermittler. Das ist
alles. Wir machen von dem Gebrauch was bereits in der Luft ist."
Henry Miller, aus einem Interview in den 60-iger Jahren
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