LUDWIGSBURG
Der Polizist, dein Freund und Helfer, zeigt ungern Gefühle. Nicht selten
frisst er den seelischen Kummer nach traumatischen Einsätzen in sich
hinein. Kriminalhauptkommissar Volker Uhl macht das anders. Er dichtet.
Das kleine Mädchen hatte keine Chance, erwachsen zu werden. An jenem
Sommerabend klingelt das Telefon auf der Wache. Volker Uhl schiebt Spätschicht.
Der Kollege am anderen Ende der Leitung berichtet von einem fünfjährigen Kind, das tödlich verunglückt ist, und von einem ahnungslosen Vater, der sich
irgendwo am Kocher beim Angeln entspannt. Jemand muss es ihm sagen.
Volker Uhl fährt über Feldwege am Fluss entlang. Über den Lautsprecher ruft er den Namen eines Mannes in die Dämmerung, der nicht weiß, dass man ihm an diesem Abend das Herz brechen wird. Im Polizeiwagen deutet
der erfahrene Kollege neben Uhl auf einen winkenden Angler. "Sag du's ihm."
Manchmal ist es ein lausiger Job. Uhl spürt ein böses Rumoren in
seinem Gedärm. Er sagt, was er zu sagen hat. Der Angler bricht zusammen.
Ich sagte ihm, dass er nie mehr
mit seiner Tochter zum Angeln kann
die Forelle zuckte noch mit den Kiemen
seine Tochter war gleich tot"
Die Zeiten mischen sich. Zwanzig Jahre nach dem polizeilichen Einsatz am
Kocher fällt es Kriminalhauptkommissar Volker Uhl leichter, aus seiner Seele
zu sprechen.
Damals hat er nur einen Bericht geschrieben. Fakten für die Akten, sagt er.
"Den Rest nimmt man mit." Und Uhl hat im Laufe seiner Karriere als
Vollstrecker des staatlichen Gewaltmonopols einiges mitgenommen. Aber
jetzt sperrt er seine Gefühle nicht länger ins Gefängnis.
Auf der Suche nach der Normalität in einem Beruf, der viele abstumpfen
lässt, hat Volker Uhl vor einem Jahr den Club der Polizei-Poeten gegründet.
Mehr als zwanzig Autoren konnte der Kriminalist für seine Seite im Internet
gewinnen. Maike Trautmann, die junge Beamtin vom Revier in der Stuttgarter
Innenstadt, macht mit. Auch die Offenbacher Hauptkommissarin Nikola Hahn,
die mit historischen Kriminalromanen bekannt wurde. Und Jörg Schmitt-Kilian,
ein ehemaliger Rauschgiftfahnder und Autor zahlreicher Bücher, unter ihnen
die Biografie des Triathleten Andreas Niedrig, der es vom Junkie bis zum
Ironman gebracht hat.
Auch die Geschichten der Polizei-Poeten sind vom Leben gezeichnet, genauer
gesagt vom Dienstplan. Die Hauptrolle spielt nicht der heldenhafte Kommissar Schimanski, sondern der einfache Hauptmeister, der seinen Kopf wirklich hinhalten muss; der Polizist, von dem man nicht viel weiß, weil
er sich nicht wichtig nimmt. Auch Volker Uhl ist einer dieser stillen
Staatsdiener. Für gewöhnlich ermittelt der 41-jährige Kommissar gegen
Wirtschaftskriminelle, gegen Autoschieber und Bankbetrüger. Am Wochenende
hat er manchmal Bereitschaft. Wie damals, an jenem Sonntag, als in Gerlingen
eine Rentnerin aus dem Leben schied.
"Sie fanden sie neben der Parkbank
es sah aus, als ob sie Mutter Erde küsste
aber das war unmöglich
mit der Pistole im Mund."
Angefangen hat Uhl 1979 bei der Polizei in Künzelsau. Sieben Jahre ist er
im Streifen- und Postendienst, formuliert Ermittlungsberichte und nimmt
Unfälle auf. Irgendwann hat er genug von alledem und bricht aus. Mit 24
kündigt er bei der Polizei, verkauft seine Möbel und tingelt ein Jahr
durch die Welt. Sri Lanka, Nepal, China, Tibet, Thailand. Als er wieder
nach Hause kommt, heuert er im Baugeschäft des Vaters an, später versucht
er sich als Kneipier. Er findet auch dort nicht, was er sucht. Mit 27 klopft
Uhl wieder bei der Polizei an, sehnt sich nach einem dieser Schreibtische,
auf denen sich Berichte über Männer türmen, die ihre Frauen schlagen, und
über Kinder, denen Drogen das Leben aus dem Gesicht geknipst hat. Uhl
landet bei der Polizei in Ditzingen. Er hat das Gefühl, dass er seine
Bestimmung gefunden hat. Auch wenn ihm der Beruf des Polizisten im
Alltag alles abverlangt:
"Alle gewinnen, nur du nicht
du hast nichts zu lachen,
wenn du mal wieder
einen vom Strick abschneidest
deine Hose vors Haus legst
nach getaner Arbeit,
damit du die Leiche
nicht nach Hause bringst."
Volker Uhl bewirbt sich für die Polizeifachhochschule in Villingen
und landet drei Jahre später in Ludwigsburg. Er ermittelt wegen
Korruptionsverdacht gegen Beamte des staatlichen Hochbauamtes. Bei
einem seiner Bereitschaftsdienste kommt ein Mann aufs Revier und meldet,
dass er seine Frau erstochen hat. Der 50-jährige ist sich keiner Schuld
bewusst. Uhl vernimmt ihn drei Stunden, während seine Kollegen am Tatort
die Spuren des Verbrechens sichern. Danach schreibt Uhl zum ersten Mal
auf ein Stück Papier, was er empfindet.
"Er musste erst ein Mörder werden,
um jemanden zu finden,
der ihm zehn Minuten zuhört."
Immer häufiger greift der Kommissar zur Feder. Es hat ihn gepackt.
Irgend etwas löst sich in ihm. Er schreibt gegen die innere Verrohung an.
Er will die Grautöne der Grünröcke sichtbar machen. Er schreibt für sich
selbst und für andere. Auch als 71 Menschen, überwiegend Schulkinder, bei
einem Flugzeugabsturz in Überlingen ums Leben kommen und Hunderte von
Polizisten aus dem ganzen Land zur Unfallstelle gerufen werden.
"Ob die Kinder dich sehen können?
schweben ihre Seelen
über dem Sterbeort und sehen alles?
auch dich,
wie du jetzt
mit zusammengekniffenen Lippen
dastehst,
innerlich ertrinkst?
an deinen Tränen,
die in eine riesige Tropfsteinhöhle fallen,
weil du ihnen
nicht den Weg nach außen gewährst."
Uhl wird mutiger. Uhl wird Konfliktberater der Polizei, eine Art
Beichtvater für die Kollegen in Ludwigsburg. Auch er hat viel zu sagen.
Manchmal ringt er Stunden mit sich und den Worten. Er konfrontiert seine
Frau Susanne und die drei Kinder mit seinen Texten. Den Kollegen von der
Kripo trägt er bei der Weihnachtsfeier ein Stück vor. "Da ist es ganz
still geworden im Saal." Nebenbei ermuntert er Kriminalbeamte quer
durch die Republik, sich den Polizei-Poeten anzuschließen. Weil es
Spaß macht und weil es gut tut. Ihnen und seinem Projekt. Er sammelt
Gedichte und Geschichten, führt manchmal auch die Feder für Kollegen,
die nicht selbst schreiben wollen, aber vieles zu erzählen haben.
Alles stellt er ins Internet.
Im nächsten Jahr gibt Volker Uhl ein Buch heraus. Dietz-Werner
Steck alias Hauptkommissar Bienzle schreibt das Vorwort. Ansonsten
haben Poeten das Wort, die nicht nur Tatort spielen. Mit dem Buch
will Uhl das Innenleben namenloser Polizisten nach außen kehren, die
vor allem eines sind: ganz normale Menschen.
Stuttgarter Zeitung
(Der Abruf des Artikels aus dem Archiv der Stuttgarter Zeitung ist kostenpflichtig)